Dankbarkeit im Alltag entdecken: Die Naikan-Praxis kennenlernen

Diese Woche möchte ich eine Praxis mit euch teilen, die mir sehr am Herzen liegt: Naikan. Sie wurde in den 1940er Jahren in Japan von Yoshimoto Ishin entwickelt einem Geschäftsmann und Shin-buddhistischen. Er schuf Naikan als strukturierte Form der Selbstreflexion, inspiriert von einer traditionellen buddhistischen Übung namens Mishirabe. Ursprünglich wurde sie in intensiven Rückzugszeiten praktiziert heute findet man Naikan auch in Schulen, Therapien und in Gefängnissen.

Die Kraft von Naikan liegt in seiner Schlichtheit. Es geht nicht ums Analysieren oder Bewerten sondern darum, klar zu sehen.
Im Zentrum der Praxis stehen drei einfache Fragen:

  • Was habe ich erhalten?
  • Was habe ich gegeben?
  • Welche Schwierigkeiten habe ich verursacht?

Die Fragen sind schlicht aber wenn man sich wirklich darauf einlässt, berühren sie tief. In unserer Meditationsstunde diese Woche haben wir uns nur der ersten Frage gewidmet:
Schon das kann eine Herausforderung sein. Oft erinnern wir uns gar nicht mehr an die Details der Woche oder wir übersehen die kleinen Dinge. Doch genau diese kleinen Momente, diese unsichtbaren Gesten und Unterstützungen, macht Naikan sichtbar.

Du kannst diese Praxis mit einer bestimmten Person machen einem Elternteil, Partner, Freund oder Kollegen oder über einen festgelegten Zeitraum nachdenken: die letzten 24 Stunden, eine Woche oder sogar die gesamte Dauer der Beziehung, die du dir anschauen möchtest.

Traditionell geht Naikan sehr tief: Man schaut auf sein ganzes Leben, vor allem auf die Beziehung zu den eigenen Eltern oder Bezugspersonen. Wir beginnen hier bewusst klein. Zum Beispiel, indem wir am Abend den Tag Revue passieren lassen und all die Menschen, denen wir begegnet sind.

So habe auch ich angefangen. Ich hörte von Naikan und fing an, es ganz einfach im Alltag anzuwenden. Etwas daran berührte mich und ich begann, mehr zu lesen. Ich verspürte den Wunsch, ein klassisches Naikan Retreat zu machen. So begann meine regelmäßige Praxis jährlich einmal 7 bis 10 Tage im Rückzug zu gehen. Ich glaube, ich wurde schon immer von Wegen angezogen, die mich tief in meine eigene Erfahrung führen auch wenn das manchmal unbequem ist.

Was ich an Naikan liebe, ist, wie es unseren Blick auf den Alltag verändert. Plötzlich werden scheinbar banale Dinge wie Kochen, Aufräumen oder den Tisch decken sichtbar. Wir erkennen, wie sehr Menschen füreinander da sind ganz ohne große Worte.
Natürlich gibt es auch die schönen, besonderen Dinge: Geschenke, Blumen, Konzerte, Reisen.
Aber Naikan erinnert uns daran: Wirkliche Verbindung geschieht im Alltag.

Und genau hier sehe ich das große Potenzial von Naikan es hilft uns, Dankbarkeit zu entwickeln und zu vertiefen.
Es erinnert uns daran, dass wir nicht allein sind. Selbst wenn das Leben schwer ist, oder wir feststecken wir beginnen zu sehen:
Ich habe Unterstützung erhalten. Ich bin Teil von etwas Größerem. Ich bin verbunden.

Diese Erfahrung von Verbundenheit ist besonders heilsam, wenn man sich isoliert, niedergeschlagen oder überfordert fühlt.
Studien zeigen: Dankbarkeit verändert unser Gehirn – und Naikan unterstützt diesen Wandel auf eine stille, aber sehr wirkungsvolle Weise.

Als ich mein erstes Naikan-Retreat machte, hätte ich nie gedacht, dass fast ein Jahrzehnt später meine Mutter und meine Tochter mit mir gemeinsam sitzen würden. Und doch, neun Jahre später, ist genau das der Fall. Drei Generationen im stillen Rückzug jede für sich, jede mit dem eigenen Leben. Ich bin neugierig, was sich dadurch in uns allen bewegt.

Wenn du Lust hast, es auszuprobieren findest du eine kleine Anleitung als PDF.
Du brauchst kein Retreat. Nur 10 Minuten am Abend. Eine Frage. Eine Woche. Und einen ehrlichen Blick.